Einstiegspost:
„Verdammt! Verdammt!“, fluchend rannte Emily die Treppe hinunter, während sie gleichzeitig versuchte in ihren Lieblingspullover zu schlüpfen. Für einen Moment verlor sie das Gleichgewicht und stolperte die letzten paar Stufen hinab, wo sie schlitternd zu stehen kam.
„Oma? Oma, hast du meine Tasche gesehen?“, rief sie in den Flur, während ihr rotes Haar aus dem Halsausschnitt des Pullis auftauchte.
Warum hatte Emily auch ausgerechnet heute verschlafen müssen? Wo sie doch wusste, dass es nichts gab, was ihre Mutter mehr haßte, als Unpünktlichkeit.
„Oma?“
Eine runde Frau mit schneeweißem Haar tauchte in der Küchentüre auf. Eine gewellte Strähne war ihr aus dem Dutt gerutscht und fiel in ihr freundliches Gesicht. „Sie lag mal wieder im Schrank neben den Keksen. Wie sie da nur immer hinkommt...?“, sagte Emilys Großmutter lächelnd und schwenkte eine große Ledertasche.
„Du bist die Beste!“, Emily drückte ihrer Oma einen Kuss auf die Wange, schnappte sich die Tasche und rannte ins Wohnzimmer.
Vor dem breiten steinernen Kamin blieb sie stehen und strich ein letztes Mal ihre Kleidung glatt. Sie warf eine handvoll grünes Pulver in die Flammen, kletterte hinterher und rief „Queensbridge Road“. Sie erhaschte noch einen letzten Blick auf ihre Großmutter, die den Strauß Blumen in der Hand hielt, die Emily eigentlich ihrer Mutter hatte mitbringen wollen.
„Mist!“
Aber ihr Körper entfernte sich bereits vom Wohnzimmerkamin. Emily raste durch einen langen schmalen Gang, immer wieder tauchten Öffnungen auf, die zu anderen Kaminen führten, doch bevor sie einen Blick auf die dort liegenden Zimmer werfen konnte, wurde sie vom Flohnetzwerk auch schon wieder ausgespuckt und landete auf einem weichen cremefarbenen Teppich.
Im ersten Moment drehte sich alles, aber dann erkannte sie die drei Personen, die sich vom Sofa erhoben hatten.
„Emily!!“, rief eine helle Stimme begeistert und die Ärmchen ihres kleinen Bruders schlangen sich um ihren Hals. „Hey, Finn! Wie geht’s dir?“ grinsend zerstrubbelte sie sein dunkles Haar.
„Emily, schön dich zu sehen.“ Nun kam auch ihre Mutter auf sie zu, unbeholfen und mit schiefem Lächeln. „Komm, setz dich doch, ich habe Schokokuchen gebacken.“
Emily löste sich von Finn. Sie hatte vergessen wie steril und korrekt hier alles war. Emily kam sich schrecklich fehl am Platz vor und bereute es bereits , ihrer Mutter vorgeschlagen zu haben, sie könne sie doch besuchen, wenn sie sowieso nach London müsse um Einkäufe zu erledigen.
„Mmh, der riecht toll! Hey, Peter!“ Emily nickte dem schmächtigen Mann zu, der eben Kaffee geholt hatte.
Irgendwie waren sie alle nie über die Smalltalkbeziehung hinausgekommen und so hüpfte die Unterhaltung munter zwischen Wetter, Omas Gesundheit und der hübschen neuen Tapete hin und her.
Und obwohl sie nichts anderes erwartet hatte, war Emily enttäuscht, als sie sich gegen Nachmittag verabschiedete um sich mit ihrer besten Freundin in der Winkelgasse zu treffen.
Was hatte sie sich erhofft? Sie wusste genau, dass ihre Mutter alles verabscheute, was auch nur ansatzweise mit Magie zu tun hatte. Sie konnte nicht erwarten, dass ihre Mutter sie plötzlich fragte, wie es in der Schule lief, oder was genau sie heute in London zu tun hatte. Dennoch verletzte es sie jedes Mal aufs neue.
Doch kaum hatte sie den tropfenden Kessel durchquert und das Tor zur Winkelgasse geöffnet, war ihre schlechte Stimmung verflogen.
Auch nach den vier Jahren, die sie jetzt bereits in Hogwarts gewesen war, brachte sie die magische Welt immer noch zum Staunen.
So kurz vor Schulbeginn war die Straße brechend voll. Emily sah ein paar Ravenclaws mit Stapeln von Büchern vorbeischlendern und grüßte sie freundlich.
Auf der Suche nach ihrer Freundin Meredith lief sie die Straße hinunter. Vor Eyelops Eulenkaufhaus stand ein Messingkäfig, in dem ein Waldkauz sie mit seinen klugen Augen durchbohrte, Madam Malkins Schaufenster präsentierte die neue Kollektion Festumhänge und vor Ollivanders Laden drängte sich eine Familie, die wohl nach einem Zauberstab für ihren Jüngsten Ausschau hielten.
In diesem Moment entdeckte Emily Meredith, die es sich bei Florean Fortescue mit einem riesigen Eisbecher gemütlich gemacht hatte.
Emily lies sich in den Stuhl ihr gegenüber fallen. „Hey Mery! Tut mir leid, Charlotte hatte Kuchen gebacken und hat wohl irgendwie versucht in zwei Stunden die Mutter zu sein, die sie einfach nicht ist...wenigstens nicht für mich...“ihre Stimme verstummte und hastig schnitt sie ein neues Thema an, sie hatte jetzt keine Lust, über ihre Mutter zu reden.
„Wir müssen nachher unbedingt noch zu Flourish & Blotts! Und einen neuen Umhang brauch ich, glaub ich, auch mal wieder! Oder hast du schon alles besorgt?“
Emily rührte in dem Kürbissaft, den sie sich bestellt hatte, und auf den aus heiterem Himmel feine Schneeflocken fielen, um ihn zu kühlen.
Die Sonne strahlte vom Himmel und Meredith erzählte ihr von den Büchern, die sie unbedingt noch besorgen musste.
Es konnte keinen schöneren Ort geben.
Tbc: London; Winkelgasse; Flourish & Blotts